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„Ich fürchte, es wird nicht einfach werden, einen neuen Job zu finden.“
Diese Auskunft hatte mir jetzt auch schon die zweite Betreuerin am Arbeitsamt gegeben. Meine erste Betreuerin hatte ein Kind bekommen und deshalb war ich jetzt jemand Neuem zugeteilt worden.
„Das weiß ich. Aber irgendetwas muss es doch geben!“
Verzweifelt schaute ich sie an.
„Glück kann man immer haben. Aber Sie müssen auch selbst aktiv werden.“
Selbst aktiv werden? War das ein Scherz? Seit Monaten tat ich nichts anderes, als jeden Tag Bewerbungen zu schreiben! Und was hatte es mir gebracht? Nichts als Absagen! Wobei man schon von Glück sagen konnte, wenn man überhaupt eine Antwort bekam.
„…behalten wir Ihre Unterlagen gerne in Evidenz.“
Na klar! Wer`s glaubt! Das war der Standardsatz in allen Absagebriefen, die ich bis jetzt erhalten hatte. Entweder war ich überqualifiziert oder es gab gerade keine offene Stelle. Irgendetwas war immer. Denn obwohl ich mich nicht nur auf konkrete Stellenangebote beworben hatte, sondern auch an verschiedene Unternehmen Initiativbewerbungen verschickt hatte, glichen sich die negativen Rückmeldungen wie ein Ei dem andern.

Dabei hatte alles scheinbar gut angefangen.
Als ich ein junges Mädchen war, hatte es zu Hause immer geheißen, dass ich unbedingt lernen soll. Und genau das hatte ich getan.
„Damit es dir mal nicht so geht wie mir“, war der Stehsatz meiner Mutter gewesen.
Sie wäre gerne Volksschullehrerin geworden, aber ihre Eltern hatten es ihr nicht erlaubt.
„Du heiratest ohnehin“, war die Ansicht gewesen, die meine Großeltern damals vertreten hatten. Deshalb war es meiner Mutter immer wichtig gewesen, dass ich eine Ausbildung erhielt. Denn sie selbst war nach der Trennung von meinem Vater putzen gegangen. Ohne Ausbildung und mit Null Berufserfahrung war der Zug für sie abgefahren. Und auch der Schreibmaschinenkurs, den sie kurz vor der Scheidung noch schnell gemacht hatte, hatte ihre Chancen am Arbeitsmarkt nicht erhöht. Der Unterhalt von meinem Vater reichte dann gerade mal aus, um halbwegs über die Runden zu kommen. Aber für ein Auto oder auch mal einen kurzen Urlaub war nie genug Geld da gewesen.

„Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“, war auch so einer ihrer Sätze gewesen.
Also hatte ich mir den Rat meiner Mutter zu Herzen genommen, und fleißig gelernt. Mein erster Job nach der Matura war dann ausgerechnet in einer Personalabteilung gewesen. Als ich dort mitbekommen hatte, wie gnadenlos die Bewerbungen aussortiert wurden, hatte ich mir selbst versprochen, dass mir das nicht passieren würde. Deshalb habe ich im Laufe der Jahre neben meinem anstrengenden Vollzeitjob noch verschiedene Zusatzausbildungen gemacht. Und wofür das alles? Jetzt war ich gerade mal Mitte Vierzig und obwohl ich eine ganze Mappe mit Diplomen und guten Dienstzeugnissen hatte, nutzte mir das alles nichts.

„Ältere Arbeitnehmer sind nicht mehr so flexibel“, hatte ich letztens irgendwo gelesen.
„Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gleich zu Hause geblieben und hätte einen Haufen Kinder bekommen.“ Als ich meiner Freundin Sofia ein paar Tage später von meinem Kummer erzählte, schüttelte sie nur verärgert den Kopf.
„Jetzt bist du aber ungerecht!“
Natürlich wusste ich das. Trotzdem war ich mittlerweile schon so frustriert, dass mir alles egal war.

„Ich weiß einfach nicht, was ich noch machen soll.“
„Und wenn du dich selbständig machst?“ Fragend schaute sie mich an.
„Das ist ja eine super Idee! Dann gibt es eine Person weniger in der Arbeitslosenstatistik und wenn die Sache schief geht, kann ich am Ende nicht mal mehr meine Miete zahlen.“
„Ist ja gut. War ja bloß ein Vorschlag. Kommst du am Abend wenigstens mit ins Kino?“
„Nein, ich muss sparen. Ab nächstem Monat bekomme ich nur noch Notstandshilfe.“
„Kopf hoch! Das wird schon wieder!“
Und dann erzählte Sofia mir, dass ihre jüngste Schwester nach der Babypause fast zwei Jahre keinen Job gefunden hatte. Natürlich war das mit zwei kleinen Kindern nicht einfach und in ihren alten Job hatte sie nach Ende der Elternkarenz auf keinen Fall zurück gewollt.
„Aber am Ende hat sie wirklich eine tolle Stelle gefunden!“
„Na, dann hoffe ich mal, das mir das auch passiert.“

Als ich an diesem Abend im Bett lag, war mir zum Heulen zumute. Natürlich war es nett von Sofia, dass sie mich aufmuntern wollte, aber trotzdem hatte ich kaum noch Hoffnung. Wenn schon ihre jüngere Schwester ewig gebraucht hatte, um nach der Elternzeit wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, konnte ich mir ausmalen, was mir noch bevorstand. Ich hatte zwar keine Kinder und somit auch keine Betreuungspflichten, aber dafür war ich um etliche Jahre älter.
Nachdem das Unternehmen, für das ich zuletzt gearbeitet hatte, seinen Firmenstandort ins Ausland verlegt hatte, war ich zuerst noch zuversichtlich gewesen, bald einen neuen Job zu finden. Wenn es sein musste, auch für weniger Geld. Die Aussicht darauf war natürlich nicht berauschend, aber mir war klar gewesen, dass die Lage am Arbeitsmarkt nicht allzu rosig war. Ich hatte in den letzten Jahren ganz gut verdient und wenn ich ehrlich war, war das auch der einzige Grund gewesen, warum ich mich nicht schon früher nach einer neuen Stelle umgeschaut hatte. Denn die Arbeit selbst hatte mir schon lange keinen Spaß mehr gemacht. Irgendwie hatte mir der Kick gefehlt und obwohl die Chefs und Kollegen alle recht nett waren, hatte ich mich in den letzten paar Jahren nur noch von Wochenende zu Wochenende und von einem Urlaub zum nächsten geschleppt.

Allerdings hatte ich auch nie eine Idee gehabt, was ich ändern könnte. Nachdem ich mich aus meinem ersten Job im Personalwesen verabschiedet hatte, hatte ich begonnen, im Finanzbereich zu arbeiten. Die Branche war mir vertraut, aber vielleicht war genau das der Fehler gewesen? Dass ich gedacht hatte, ich müsste mit meiner Jobsuche genau dort ansetzen, wo ich zuletzt aufgehört hatte? Alle meine Bewerbungen hatten auf ähnliche Stellenangebote abgezielt und auch meine Initiativbewerbungen waren immer in dieselbe Richtung gegangen. War es vielleicht das gewesen, was die AMS-Mitarbeiterin gemeint hatte, als sie gesagt hatte, dass man auch selbst aktiv werden muss?

„Glaubst du, ich sollte mal etwas ganz anderes probieren?“
Als ich meiner Freundin Sofia ein paar Tage später diese Frage stellte, schaute sie mich irritiert an.
„Was meinst du damit? Willst du jetzt Bäckerin werden, oder Floristin?“
„Quatsch!“ Und dann erzählte ich ihr, dass ich immer gedacht hatte, ich könne nur Geld verdienen, wenn ich genau das mache, wofür ich nun mal ausgebildet war. Ich hatte mir nie die Frage gestellt, ob es nicht vielleicht auch möglich wäre, meinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, was mir wirklich Freude macht.
„Und was macht dir Freude?“
Genau das war die Frage. Wenigstens wusste ich jetzt, was mir keinen Spaß mehr machte. Und zwar ein Job, bei dem ich im Grunde nur meine Lebenszeit absaß.

„Vielleicht sollte ich wirklich mal umdenken!“
Und genau das habe ich dann auch getan. Da ich ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, konnte es nur noch besser werden. Deshalb habe ich das Unterste zuoberst gekehrt und mir vorgestellt, beruflich mal etwas ganz anderes zu machen. Natürlich habe ich dabei auf meine Möglichkeiten Rücksicht genommen, es war ja klar, dass ich weder Primaballerina noch Tiefseetaucherin werden würde. Aber das wollte ich ohnehin nicht. Ich wollte ganz einfach einen Job haben, der es wert war, morgens mit Freude aufzustehen.
„Einen Job, den ich auch umsonst machen würde!“
Als ich Sofia davon erzählte, konnte ich ihr ansehen, dass sie mich jetzt für komplett übergeschnappt hielt.

„Kannst du mal ein bisschen deutlicher werden? Ich verstehe nur Bahnhof!“
„Na, es ist doch immer die Rede vom bedingungslosen Grundeinkommen.“
„Ja, und?“
„Deshalb habe ich mir überlegt, welche Arbeit ich auch total gerne machen würde, wenn ich nicht dafür bezahlt würde.“ Und dann erklärte ich meiner verblüfften Freundin, dass die meisten Leute immer nur darüber nachdenken würden, was sie tun können, um Geld damit zu verdienen. Ganz egal, ob es ihnen Spaß macht. Aber kaum jemand denkt darüber nach, was er tun würde, wenn er frei entscheiden könnte. Womit er sich beschäftigen würde, wenn Geld keine Rolle spielen würde.
„Aber Geld spielt nun mal eine Rolle!“
Sofia war offenbar kurz davor, zu explodieren.
„Natürlich spielt Geld eine Rolle. Aber wenn du überlegst, was dir Spaß macht, kannst du doch auch damit Geld verdienen.“
Entnervt stützte meine Freundin den Kopf auf die Hände.
„Und das hast du jetzt gefunden? Den Stein der Weisen?“
„Du musst gar nicht ironisch werden.“
Und dann erzählte ich ihr, dass ich demnächst eine Umschulung zur Tierarzthelferin machen würde.
„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?“
„Doch, das ist mein voller Ernst. Weil ich es nämlich satt habe, das Leben der anderen zu leben.“

Ich hatte wochenlang darüber nachgedacht, was mir Freude macht. Und da ich nun mal weder besonders sportlich bin, noch handwerklich begabt, habe ich mich schließlich daran erinnert, was mir schon als Kind die größte Freude gemacht hat. Und das war die Beschäftigung mit Tieren. Aber da zu Hause immer zu wenig Geld da war, habe ich mich nicht getraut, zu studieren. Ich wollte meine Mutter finanziell unterstützen und das habe ich dann auch bis zu ihrem Tod getan. Meinen früheren Berufswunsch hatte ich komplett vergessen. Erst, als mir während meiner Arbeitslosigkeit klar wurde, dass es nur noch bergauf gehen kann, habe ich begonnen, mich von all den Beschränkungen, die ich mir selbst innerlich auferlegt hatte, zu befreien. Und da es realistisch betrachtet wohl zu spät war, um noch Tierärztin zu werden, würde ich jetzt eben Tierarzthelferin.
„Aber dafür bist du doch total überqualifiziert!“
Sofia konnte es immer noch nicht fassen.
„Ich will endlich wieder arbeiten. Und die Arbeit mit Tieren macht mir Freude.“

Und genauso war es dann auch.
Zwar verdiene ich jetzt weit weniger als früher, aber ich komme zurecht. Und selbst verdientes Geld ist immer noch besser, als dauerarbeitslos zu Hause zu sitzen. Aber das Wichtigste ist ohnehin, dass mir mein neuer Job Spaß macht. Die Umschulung hat nicht allzu lange gedauert und das AMS hat mich dabei unterstützt, in meiner neuen Branche Fuß zu fassen. Und auch, wenn ein paar Ordinationen gestaunt haben, wer sich da als Quereinsteigerin bewirbt, habe ich schließlich doch eine Chance bekommen. Jetzt arbeite ich ganz in der Nähe meiner Wohnung in einer Tierklinik und somit erspare ich mir auch eine Menge Fahrtzeit. Und ich habe mir zwei Katzen aus dem Tierheim geholt, das gehört ja fast schon zur Berufsehre.

„Vielleicht hattest du doch Recht. Echte Lebensqualität ist mit Geld nicht aufzuwiegen.“
Als ich mich letztens wieder einmal mit Sofia getroffen habe, war ausnahmsweise mal ich diejenige, die ihren Ohren nicht getraut hat. Erstaunt schaute ich meine Freundin an. 
„Sag bloß, du überlegst jetzt auch einen Jobwechsel?“
„Mal sehen. Ganz so mutig bin ich noch nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“
„Na, dann halt mich mal auf dem Laufenden!“ Lachend schaute ich Sofia an.

Letztendlich muss ohnehin jeder selbst wissen, was gut für ihn ist. Ich persönlich habe für mich beschlossen, dass mein Selbstwert nicht davon abhängt, was ich arbeite und wie viel Geld ich damit verdiene. Und wenn ich an die Zeit meiner Arbeitslosigkeit zurückdenke, bekomme ich heute noch Bauchschmerzen. Damals habe ich mich so überflüssig und nutzlos gefühlt, so etwas will ich nie wieder erleben. Natürlich weiß ich, dass es auch in meinem neuen Job keine Garantien gibt, aber trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

* Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Spezielle Schreibweisen (Fachbegriffe, Gender-Bezeichnungen usw.) wurden in der von der Autorin übermittelten Form übernommen.

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